Hinterland

Zurück zum Wesentlichen: So lebt es sich in schwedisch Lappland

19. Jan. 2023von Lesley-Ann Jahn

Hinterland-Gastgeber Michael über das Auswandern und sich Zuhause fühlen, die schwedische Gelassenheit und welche Outdoor-Abenteuer euch hier erwarten.

Die meisten von uns schaffen es gerade mal für ein paar Wochenenden im Jahr (und vielleicht noch im Urlaub) richtig raus in die Natur zu kommen, um wirklich abzuschalten. Das war bei Michael auch so. Bis er sich dazu entschloss, seiner Leidenschaft zu folgen und in eine der am dünnsten besiedelten Regionen Lapplands zu ziehen. Wir wollten mehr über seine spannende Auswanderergeschichte wissen, wie es sich in seinen sieben Hinterland-Holzhütten lebt und was ihn bis heute an schwedisch Lappland fasziniert.  

 

Die wichtigste Frage gleich zuallererst: Wie seid ihr als Familie in Lappland gelandet?

Ursprünglich komme ich aus einer Kleinstadt in Thüringen und bin mit 19 Jahren das erste Mal mit dem Rad durch Skandinavien gefahren. Dort lernte ich meine Frau, die ebenfalls aus Thüringen kommt, kennen. Es folgten Reisen nach Island, Spitzbergen, Paddeltouren durch Kanada sowie Expeditionen durch Grönland und Alaska. Ich merkte schnell, dass diese Art von Landschaft einfach genau mein Ding ist. Seitdem war der Plan immer da: Irgendwann muss ich raus aus Deutschland, da ich dort zwar arbeitete und lebte, mich aber nicht Zuhause fühlte.

Wir lebten schon in Deutschland eher alternativ, zeitweise sogar in einem selbstgebauten Tiny House im Blockhausstil auf einem LKW-Anhänger auf einer großen Wiese. Wir brauchten einfach mehr Platz, mehr Ruhe, mehr Weite. Eigentlich war Kanada immer mein Traumland. Als unser Sohn aber schwer krank geboren wurde, stellte sich unser Leben komplett auf den Kopf und der Kanada-Plan rückte in die Ferne.

 

Wann kam der Punkt, an dem ihr dann doch die Zelte in Deutschland abgebrochen habt?

Schweden kam uns zuerst eigentlich eher als Kompromiss in den Sinn, um eine gute medizinische Versorgung sicherzustellen, relativ nah bei der Familie in Deutschland zu bleiben und trotzdem in einer ähnlichen Landschaft wie Kanada zu leben. Als dann auch beruflich in Deutschland bei mir ein absoluter Tiefpunkt erreicht war, packten wir Ende 2015 tatsächlich ziemlich kurzfristig unsere Sachen und ich löste meine Firma auf. Dabei hatte ich immer einen Gedanken, der sehr geholfen hat: Auch wenn’s nicht klappt, haben wir es wenigstens versucht.

Wie waren eure ersten Jahre in Arjeplog? Konntet ihr euch schnell einleben? 

Ehrlicherweise konnten wir kein Wort Schwedisch und hatten kaum Ersparnisse. Die ersten Jahre waren extrem holprig. Bevor das Haus, das ich online gefunden hatte, gut bewohnbar war, haben wir sehr simpel gelebt und beispielsweise einfach auf Isomatten geschlafen. Aber dann ging es Schritt für Schritt weiter. Ich baute die vorhandene Scheune zur Schmiedewerkstatt um und renovierte eine Hütte, die bereits auf dem Grundstück stand. 

Meine Idee: diesen besonderen Ort mit Gleichgesinnten teilen, die Bock auf besondere Touren haben, Schmieden und Blockbau lernen oder einfach mal raus wollen. Arjeplog ist landschaftlich vielseitig und – was mir besonders gefällt – sehr abgeschieden. Auf eine Fläche so groß wie Belgien kommen gerade mal 2.700 Einwohner*innen, das macht eine Bevölkerungsdichte von 0,2 Einwohnern pro Quadratkilometer.

 

Mittlerweile habt ihr sieben Unterkünfte: vier Blockhütten, ein Tiny-House-Boot, eine weitere kleine Bleibe und ein Baumhaus. Wie Outdoor-Abenteuer-erprobt sollte man hier als Gast sein? 

Der Spruch des Patagonia-Gründers Yvon Chouinard trifft es auf den Punkt: „Going back to a simpler life is not a step backwards.” Unsere Unterkünfte sind sehr urig mit Holzöfen, Miniküchen und Trockentoiletten ausgestattet. Es gibt zusätzlich ein zentrales Gästebad mit Dusche, WC und fließend Wasser. Eine Hütte hat Strom, die anderen nicht und einen Wasseranschluss hat keine unserer Cabins. In völliger Alleinlage schauen als Nachbarn höchstens mal Elche, Rentiere oder andere Tiere vorbei.

Die meisten Hütten liegen in unterschiedlicher Entfernung rund einen Kilometer um unser Wohnhaus. Sie sind nur zu Fuß erreichbar, aber immer noch so nah dran, dass man relativ schnell wieder bei uns wäre, falls etwas passiert. Die Hütte „Lonely Lynx" liegt allerdings mitten im Nirgendwo an einem Fluss, gut 20 Kilometer von uns entfernt. Fahren kann man die Strecke auf den ersten 18 Kilometern, dann geht es 1,5 Stunden zu Fuß weiter. Das ist wirklich nur was für Leute, die komplett abgeschieden sein wollen und wissen, wie man im “Bush“ zurechtkommt.

Wer mag, kann zwischen Juni und Oktober auch mit seinem eigenen Camper bei uns stehen! Wir haben hier auf jeden Fall genug Platz und bieten unsere große Naturwiese als Stell-/ bzw. Zeltplatz an.

Für Gäste bietest du individuelle Touren und Erlebnisse an, wie gemeinsames
 Schmieden, Blockhausbauen, Schneeschuhwanderungen, Eisangeln und Kanutouren. Mal angenommen, ich komme im Winter zu dir und würde gerne eine Tagestour machen, was würdest du mir 
zeigen?

Wenn das Wetter passt, fahren wir zum „Stårbatjvara“. Das ist eine Gruppe von Bergen ganz in der Nähe. Auf alle drei Gipfel kann man rauf. Die sind nicht allzu hoch, aber das ist bei der Schneetiefe in den Wintermonaten schon eine ordentlich anstrengende Tour. Von oben hat man einen wirklich spektakulären Blick auf die Umgebung. Im Winter nutzen wir das Schneemobil und fahren einen circa 60 Kilometer 
langen Rundweg um das Bergmassiv. 

Egal zu welcher Jahreszeit ist diese Landschaft sehr spannend – von weiten Wäldern bis zu Mooren, Seen, immer mit den Bergen im Blick. 
Auch wenn diese Route direkt vor unserer Haustür liegt, fühlt man sich wie mitten in der Wildnis. Ich zeige verschiedene Tierspuren, erzähle mehr über die Besonderheiten der Vegetation. Und dann frage ich gerne: Und, was hört ihr? Die Antwort: Gar nichts. Absolute Stille.


 

Bei Instagram habe ich unter einem Post von dir diesen Satz gelesen: „Ein bewusstes Reduzieren des sonst so hohen Lebensstandards, Ruhe, Natur und Abstand zum Alltag bewirken oft die längst überfällige Reise zu sich selbst.“ Hast du in Lappland zu dir selbst gefunden?  

Zu mir selbst gefunden habe ich schon seitdem weiß ich, was ich möchte und was gut für mich ist. Hier in Lappland kann ich genau das jetzt ausleben und erlebe jeden Tag kleine Abenteuer. Das ist genau mein Ding! Auch wenn es für Außenstehende manchmal den Eindruck macht, renne ich nicht kopflos in 
irgendwelche Sachen rein. Ich gebe stattdessen immer vollen Einsatz für Dinge, die 
mir wichtig sind und für die das Bauchgefühl „grünes Licht“ gibt. Man lebt eben nur ein Mal und sollte versuchen in dieser Zeit seine Träume umzusetzen. 

Jetzt mache ich den ganzen Tag das, was ich liebe: Ich bin draußen, kann kreativ Handwerken, bin frei und lebe ohne Stress. 
Dass ich meine Leidenschaft sogar noch mit Anderen teilen und ihnen meine Art zu 
leben ein Stückchen näher bringen kann, fühlt sich gut an. Deshalb wünsche ich mir
 gerade eigentlich nur, dass es genau so bleibt, wie es ist. Ich fühle mich in Lappland sehr gut aufgehoben und extrem wohl – wegen Landschaft, aber auch durch die Mentalität der Schwed*innen.


Wie sind die Schwed*innen denn drauf? 

In Schweden gilt das ungeschriebene Gesetz, dass jeder gleich ist. Man begegnet sich freundlich und auf Augenhöhe – unabhängig von Beruf oder Einkommen. Es gibt einen Spruch, den man hier oft hört und der die nordische Art der Problemlösung gut beschreibt: „Det ordnar sig." Das bedeutet übersetzt so viel wie „Das ordnet sich“ oder „Das wird schon”. 
Hier geht man mit sehr viel mehr Gelassenheit an die Dinge ran, als ich es aus 
Deutschland kenne. Diese gewisse Coolness in alltäglichen und stressigen Situationen hilft, den Druck rauszunehmen. 

Was mir auch sofort aufgefallen ist: Die Schwed*innen laufen langsamer. Hier wird nicht gehetzt und wenn im Supermarkt nur eine Kasse geöffnet ist und sich eine Schlange bildet, wird eben ein bisschen mit anderen Kund*innen gequatscht, um sich die Wartezeit entspannt zu vertreiben. Für mich ist es auch 
eine große Ehre einen sehr guten Draht zu schwedischen „Urgesteinen“ zu haben und von ihnen mehr über die Samen und ihre Kultur zu lernen. 

…also Menschen des indigenen Volks im Norden Skandinaviens. 

Genau. Wenn ich sage, ich habe „Kumpels“ hier, dann sind die meist schon über 70 Jahre alt. Dadurch, dass diese Generation in so einer harten, kalten und verhältnismäßig armen Gegend aufgewachsen ist, kann man sich in Sachen Gelassenheit und Durchhaltevermögen echt eine Scheibe abschneiden. Und ich lerne natürlich auch wahnsinnig viel, wenn wir zusammen draußen unterwegs sind oder gemeinsam arbeiten: über die Natur, das Spurenlesen im Schnee, die Tiere, den Wald, über die Hölzer, die es hier gibt, und das traditionelle Bauen von Blockhütten.

 

Wenn man über Lappland spricht, kommt man an den Nordlichtern nicht vorbei. Sind die immer noch faszinierend für dich oder mittlerweile schon ein normaler Anblick?

Das Licht bei uns ist einfach fast immer genial! Und auch die Nordlichter sind immer 
wieder besonders, immer wieder anders. Klar gewöhnt man sich auch ein wenig daran 
und während Gäste total aus dem Häuschen sind, hab ich auch schon gedacht 
„Ach ja, schön, aber das geht noch viiiiel besser” und bin wieder im Haus
 verschwunden. Aber das kommt eher selten vor.

Hast du noch einen guten Tipp, wie man sich am besten gegen die lappländische Kälte wappnen kann? 

Einfach eine Fleecejacke mehr anziehen ;-) Ich packe die Gäste auf Touren auf jeden 
Fall nicht in Watte. Natürlich achte ich darauf, dass alle einigermaßen passend 
angezogen sind – vor allem gute Schuhe sind wichtig, eine Mütze und mehrere Schichten. Aber es ist auch schon okay, hier bei -30 Grad mal zu frieren. Am besten hilft immer noch Bewegung! Auch das anschließende Aufwärmen am Kaminfeuer oder der Saunagang runden den Tag draußen ab.

 


Bock auf ein Camping-Abenteuer in Finnland? In unserem Wintercamping Guide haben wir euch die besten Tipps und unsere Lieblingsgadgets zusammengestellt, damit ihr bei Minusgraden unterwegs schön warm bleibt.